Internationale Messe „Food Ingredients Europe“
Vom 30. November bis 2. Dezember 2021 fand in meiner Wahlheimat Frankfurt am Main die Messe „Food Ingredients Europe“ (FI) statt, eine Messe für Lebensmittelinhalts- und -zusatzstoffe. Angesichts der 800 Aussteller, die diese Nahrungsmittelzutaten sowie die damit einhergehenden Dienstleistungen in den Bereichen Labortechnik, Produktsicherheit und Qualitätssicherung präsentierten, eine sportliche Aufgabe für mich als Besucherin!
Zum Glück gab es zwischen dem 22. November und dem 2. Dezember 2021 eine begleitende Online-Fachkonferenz mit einem sehr praktischen Konzept: die einzelnen Video-Vorträge wurden aufgenommen und waren jederzeit abrufbar. So konnte ich schon im Vorfeld der Messe einige Unternehmen kennenlernen, die sich auf nachhaltige Technologien und Produkte spezialisieren.
Produktentwicklung
Die Kreation von neuartigen Produkten – oft aus ungewöhnlichen Rohstoffen – steht für viele Unternehmen dieser Branche auf der Tagesordnung, und damit sind nicht nur die Hersteller gemeint.
Beispielsweise ermittelt und verhandelt ein niederländisches Beratungs- und Vertriebsunternehmen in Zusammenarbeit mit Bauern und Lebensmittelherstellern europaweit, welche innovativen Produkte künftig entwickelt werden sollen. Für die ausgewählten Produktinnovationen, die dann tatsächlich realisiert und hergestellt werden, übernimmt das Unternehmen den Vertrieb. Somit fungiert es als Bindeglied zwischen verschiedenen Teilen der Wertschöpfungskette und stellt das Know-How seiner Mitarbeitenden zur Verfügung, von denen einige zuvor bei der Lebensmittelzulassungsbehörde auf der EU-Ebene tätig waren.
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Auch ein spanischer Mittelständler entwickelt seine Produkte hauptsächlich in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Kunden. Das Unternehmen stellt biologisch angebaute Lebensmittelzutaten her und vertreibt seine, auf spezifische Kundenbedürfnisse zugeschnittenen Produkte weltweit.
Ein mittlerweile gut etabliertes französisches Start-up erforscht und entwickelt an Standorten in Frankreich, Belgien und Deutschland seit 6 Jahren neuartige pflanzliche Extrakte. Nun steht die Industrialisierungsphase an und der Aufbau einer eigenen Betriebsstätte mit Produktionsanlagen ist in Planung. Da das Thema „Innovation“ ein wesentlicher Bestandteil des Kerngeschäfts darstellt, ist es immer wieder auf der Suche nach neuen Forschungspartnerschaften.
Beschaffung und Produktion
Gerade wenn es um Biolebensmittel geht, spielt die Qualität eine besondere Rolle. Für viele Unternehmen steht daher die Suche nach passenden Lieferanten, die den hohen Qualitätsanforderungen entsprechen, im Mittelpunkt. Um sicherzustellen, dass die Qualität der Rohstoffe auf der Beschaffungsseite wirklich BIO und schadstofffrei ist, beschäftigt ein mittelständischer Großhändler aus den Niederlanden eigene Gutachter vor Ort in verschiedenen Ländern weltweit, die sowohl als Angestellte, als auch auf freiberuflicher Basis tätig sind.
Zur vollumfänglichen Qualitätssicherung sind laufende Produktionskontrollen unerlässlich. Denn aufgrund der zunehmenden Umweltverschmutzung können heutzutage sowohl die Menge, als auch die Zusammensetzung der Schadstoffe in Agrarprodukten variieren. Die daraus entstehenden Lebensmittel bzw. Lebensmittelzusätze sollen dennoch schadstofffrei und damit gesundheitlich unbedenklich sein.
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Beispielsweise muss ein irländisches Unternehmen, das Proteinpulver und mineralhaltige Pulver aus Fisch herstellt, seine Produkte kontinuierlich auf Mikroplastik und Giftstoffe überprüfen und bereinigen. Die gravierende Verschmutzung der Weltmeere mit Mikroplastik hat dazu geführt, dass Fische über ihre Nahrungskette Mikroplastik aufnehmen. Da Mikroplastikteilchen Schadstoffe wie ein Magnet anziehen, hat das zur Folge, dass diverse Schadstoffe im Fischkörper gespeichert werden.
Für bestimmte Konsumentengruppen, wie beispielsweise Allergiker, ist die Reinheit der Lebensmittel oft sogar von lebenswichtiger Bedeutung. So hat ein Unternehmen aus Italien zwei separate Fabriken in seiner Heimatregion errichtet: die eine für ausschließlich glutenfreie Produkte, die andere für herkömmliche Lebensmittel. Durch diese strikte Trennung der Produktion wird eine zuverlässig hohe Qualität von glutenfreien Lebensmitteln gewährleistet
Logistik
Wegen der immer noch andauernden weltweiten Pandemielage bleibt der Bereich „Transport und Logistik“ in Bezug auf Lieferfristen weiterhin unzuverlässig. Gleichzeitig sind die Logistikkosten in den letzten beiden Jahren überproportional angestiegen. Einige Unternehmen sprachen von einer Preiserhöhung von bis zu 40 % auf der Beschaffungsseite. Die gestiegenen Einkaufspreise sind nicht nur auf höhere Logistikkosten, sondern auch auf höhere Verpackungskosten zurückzuführen. Da Verpackungen hauptsächlich in Asien produziert werden, machen sich die Logistikkosten gleich doppelt bemerkbar.
Die Höhe der Logistikkosten ist oft der Hauptgrund, warum sich viele kleinere und mittelständische Unternehmen ausschließlich auf den europäischen Markt fokussieren. Eine Messe-Gesprächspartnerin hat es sehr treffend formuliert: „Weiter nach Osten sind WIR zu teuer – weiter nach Westen sind die Transportwege zu lang, und damit die Logistik zu teuer.“
In der Lebensmittelherstellerbranche ist es aufgrund des Preisdrucks im Groß- und Einzelhandel nicht gerade einfach, eine Preissteigerung an die Abnehmerschaft weiterzugeben. Damit das Geschäft wirtschaftlich bleibt, ist es daher überaus wichtig, eine sinnvolle Balance zwischen dem Verkaufspreis eines Produktes und seinen Selbstkosten, deren wichtigen Teil der Einstandspreis bildet, zu behalten. Diese Aufgabe ist nur mithilfe des Controllings zufriedenstellend zu bewältigen.
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Vertrieb und Marketing
Unternehmen mit innovativen Produkten oder Herstellungsverfahren stehen vor der großen Herausforderung, diese auf den Märkten erstmalig einzuführen.
So produziert ein französisches Unternehmen pflanzenbasierte Omega3-Fettsäuren aus Algen – mithilfe von Fermentierungsprozessen auf natürlichem Weg, ganz ohne Chemie. Das Produkt wird in Form von Kapseln oder Pulver angeboten. Obwohl die Qualität besser als die der herkömmlichen, aus Fisch gewonnenen Omega3-Fettsäuren ist, da diese herkunftsbedingt möglicherweise geringe Mengen an Schadstoff- oder Antibiotikarückständen enthalten können, bedarf es dennoch viel Überzeugungsarbeit, um die Konsument:innen an das neuartige Produkt zu gewöhnen. Denn die Bereitschaft von Menschen aus dem europäischen Raum, Algen als Nahrungsmittelquelle anzunehmen, ist derzeit nur im sehr geringen Maße vorhanden.
Fazit: Insbesondere Spezialprodukte mit hohem Erklärungsbedarf benötigen eine dementsprechend angepasste, oftmals auf lange Sicht angelegte und damit recht kostenintensive Vertriebsstrategie.
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Beispielsweise setzt ein ebenfalls aus Frankreich stammendes Familienunternehmen sehr spezifische, hochtechnisierte und gleichzeitig nachhaltige Herstellungsverfahren ein, um aus verschiedenen Rohstoffen Lebensmittelfarben und Aromaextrakte herzustellen. Zur Vermarktung seiner Produkte eröffnet es Vertriebsbüros in mehreren europäischen Ländern und berät dort die potenzielle Kundschaft in persönlichen Gesprächen und Produktpräsentationen.
Die Repräsentanten eines weiteren französischen Familienunternehmens berichteten mir über ihre Pläne, die Nachhaltigkeit der eigenen Produkte und Herstellungsverfahren mehr in den Vordergrund zu stellen, da die Kunden heutzutage einen immer größeren Wert darauf legen würden. Daher soll das Thema „Nachhaltigkeit“ in künftigen Marketing-Kampagnen für neue Produktvarianten besonders betont werden.
Viele Unternehmen hegen die Hoffnung, dass die derzeitigen Reiseeinschränkungen bald aufgehoben werden und stattdessen wieder mehr Präsenzmessen stattfinden können. Denn aus vertriebstechnischer Sicht haben sich Online-Konferenzen und digitale Ausstellungen gerade für die Lebensmittelbranche als eher ungeeignet erwiesen. Die für die Kundenakquise entscheidenden Hauptmerkmale der Produkte, wie beispielsweise die Konsistenz, der Geschmack, aber auch der Geruch, sind nur persönlich erlebbar.
Personal
In vielen Lebensmittelunternehmen ist der Bereich Produktion sehr personalintensiv. Während der Spitzenphasen der Pandemie fällt es daher aufgrund von Krankheits- und Quarantäneausfällen der Mitarbeitenden oftmals schwer, den anstehenden Aufträgen wie gewohnt nachzukommen.
Wegen des hohen Personalbedarfs und der damit verbundenen Kosten bauen einige Unternehmen ihre Produktionsstätten ausschließlich in Asien auf, da die Lohnkosten dort – im Vergleich zum Großteil Europas – deutlich niedriger ausfallen.
Junge Unternehmen der Lebensmittelindustrie, die sich gerade in der Wachstumsphase befinden, können in der Regel keine Produktionsbetriebe in Asien finanzieren, und sind händeringend vor Ort auf der Suche nach bezahlbarem, aber dennoch hochqualifiziertem Personal, möglichst mit einschlägigen Branchenkenntnissen.
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Geschäftsmodell und Strategie
Der Trend zur Nachhaltigkeit veranlasst viele Unternehmen, ihre Geschäftsmodelle zu überdenken und grundlegend zu verändern. Ein traditionsreiches norddeutsches Unternehmen, das früher hauptsächlich mit Fleisch handelte, fokussiert sich heute auf die Herstellung und den Vertrieb von Trockenfrüchten. Aus Gründen der Nachhaltigkeit lautet die Devise: „Weg vom Fleisch – hin zu pflanzenbasierten Produkten!“
Die Umstellung des Konsumentenverhaltens auf vegetarische bzw. vegane Ernährung unterstützt die Firma seit neuestem durch die Markteinführung eines innovativen Produkts als Fleischersatz: die asiatische Jackfrucht.
In zerkleinerter und getrockneter Form wird sie als Rohstoff für verschiedene Fleischersatzprodukte verwendet. Zwar hat die Frucht keinen Proteingehalt, doch der Vorteil liegt in der faserigen Konsistenz, die ein gutes Kaugefühl erlaubt. Aus Jackfrucht werden verschiedene Variationen von Trockenmasse hergestellt, die sich sowohl für vegetarische Bolognese-Soße, als auch für fleischlose Nuggets oder Zupfbraten gut eignen.
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Auch ein österreichisches Familienunternehmen mit über 100- jähriger Firmengeschichte stellte sich ebenfalls auf neue Markttrends um. Aus dem regionalbezogenen Mehlproduzenten wurde binnen weniger Jahre ein weltweit tätiger Produzent von Bio-Öl und Bio-Pulver aus Sonnenblumen und Kürbiskernen aus ökologischem Anbau in Österreich. Die Umstellung auf eine zeitgemäße Produktpalette und die forcierte Internationalisierung haben dem Unternehmen starke Wachstumsimpulse gegeben.
Mehrere weitere Firmen berichteten mir über ihre Expansionspläne in andere Länder. Dafür braucht es einen geeigneten Zugang zum lokalen Markt: entweder durch eigene Verkaufsniederlassungen vor Ort oder zuverlässige lokale Vertriebspartner. So sind mehrere Firmen aktuell dabei, Vertriebsbüros in einigen europäischen Ländern zu eröffnen.
Besonders spannend finde ich diejenigen Geschäftsmodelle, die die Kreislaufwirtschaft ins Leben rufen. Ein niederländischer Hersteller von Konserven aus Champignons präsentierte eine völlig neue Produktidee: das beim Abkochen der zuvor gereinigten Champignons zurückbleibende Restwasser wird durch Verdunstung auf das 40-fache konzentriert. Die hierdurch entstandene Flüssigkeit schmeckt schön salzig, enthält jedoch gar kein Salz! (Sehr köstlich– habe ich probiert!)
So wurde nicht nur ein feiner Geschmacksträger und gesunder Salzersatz kreiert, sondern das eingesetzte Wasser schon im Produktionsprozess bereinigt und einer neuen Verwendung zugeführt.
Ein Start-up aus Norwegen produziert aus lebensmitteltauglichen Fischabfällen der Fischfang- und Erstverarbeitungsindustrie durch Trocknungs- und Mahlprozesse gewonnene Puder bzw. Pulver und verkauft diese an weiterverarbeitende Lebensmittelhersteller. Dank dieser brillanten Geschäftsidee und dem fundierten Know-How des Managements in diesem speziellen Branchensegment erreichte die Neugründung bereits nach vier Jahren die Größe eines mittelständischen Unternehmens mit weltweitem Kundenstamm.
Innovative Neugründungen
Ein ganz besonderes Highlight für mich waren die Start-up-Pitches im Rahmen vom Innovation Challenge sowie meine anschließenden Gespräche mit den Neugründern und Neugründerinnen:
Moolec aus Großbritannien produziert Proteine aus pflanzlichen Rohstoffen mithilfe einer zellenbasierten Technologie.
Biotechnologie-Start-up SACCHA aus Süddeutschland hat ein neues Verfahren entwickelt, um aus Bierhefe (ein Abfallprodukt der Brauereien) mithilfe von Mikroorganismen Proteine herzustellen.
Time Travelling Milkman aus Griechenland entwickelte einen pflanzenbasierten Ersatz für Milchfette zur nachhaltigen Herstellung von Molkereiprodukten.
https://www.timetravellingmilkman.com/
No Palm Ingredients aus den Niederlanden hat eine Alternative für Palmöl gefunden, die aus lebensmitteltauglichen Abfällen der Landwirtschaft und der Lebensmittelindustrie mithilfe von Fermentierung hergestellt wird.
https://www.nopalm-ingredients.com/
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