Schweizer START Summit
Zahlreiche Gründer und Gründerinnen präsentierten ihre Geschäftsmodelle beim START Summit in St. Gallen (Schweiz) am 24. und 25. März 2022 vor vielen heimischen und internationalen Investoren. Dabei stand das Thema „Nachhaltigkeit“ im Fokus der gesamten Konferenz.
Ich war begeistert, dass so viele Sustainability-Startups teilnahmen: mit eigenen Ständen im Ausstellungsbereich, an zahlreichen Podien und Workshops, am Pitching-Wettbewerb und nicht zuletzt auch als Besucher:innen. Mehrheitlich kamen diese neu gegründeten Firmen aus dem Bereich Software as a Service (SaaS) und boten innovative digitale Lösungen für verschiedene Bereiche des Lebens an.
Selbst die Vor-Ort-Verpflegung war durch und durch nachhaltig: Getränke gab es nur in wiederverwertbaren Glasflaschen oder Bechern, deren Rückgabe durch bequem erreichbare Sammelautomaten erleichtert wurde. Das vielfältige Essensangebot auf Papptellern war ausschließlich vegan/vegetarisch und regional. Ein großes Lob für die phänomenale Durchführung dieser von einer Studentenschaft organisierten Veranstaltung!
Renommierte Podiumsteilnehmende betonten, dass wir in Europa aktuell ein „goldenes Zeitalter“ für technologisch und insbesondere digital orientierte Unternehmensgründungen erleben. Eine Art „Roaring 20s“ der Hightech Startups! Beim diesjährigen START Summit, umgeben von hunderten innovativen Neugründungen aus zahlreichen Ländern, hatte ich zweifellos dieses Gefühl.
Darüber hinaus war es für mich sehr spannend, das Gründungs-Ökosystem der Schweiz näher kennenzulernen. Es handelt sich um eine lebhafte Szene mit immerhin 215 Organisationen, die sich um Neugründungen in diesem Land kümmern. Schweizer Startups haben im Jahr 2021 insgesamt 3,5 Mrd. USD Risikokapital beschaffen, knapp 60 % davon von europäischen Investoren. Obwohl es in früheren Entstehungsphasen viel Kapital auf dem Markt für Startups gibt, sind jedoch die Kapitalressourcen für junge Unternehmen, die sich bereits in der Wachstums- bzw. Scale-up-Phase befinden, im Vergleich zu den großen Wirtschaftsmächten USA oder China ziemlich begrenzt.
Während des START Summits wurde immer wieder betont, wie sehr innovative Gründer:innen zum künftigen Wohlstand eines Landes beitragen. Insbesondere wurde auf die riesigen Chancen im Bereich Nachhaltigkeit hingewiesen, die sich sowohl für Gründungswillige, als auch für Investoren bieten.
Dabei liegt der Fokus auf einer langfristigen Ausrichtung des Geschäftsmodells sowie der Unternehmensvision, um die Überlebensfähigkeit einer Neugründung zu gewährleisten. Die sogenannten Sustainable Development Goals (SDG) liefern eine solche solide langfristige Basis, die sowohl von der tatsächlichen Notwendigkeit, als auch vom politischen Willen untermauert ist. Denn: Nachhaltigkeit ist keine Marktnische für spezialisierte Firmen, es ist eine Verpflichtung für jedes Unternehmen.
Eine Vision ist kein bloßer Traum. Eine Geschäftsidee allein bringt nicht viel, es kommt auf die Umsetzung der Idee und auf das Leben einer Vision in der Praxis an. Und genau hier unterstützt das Controlling auf dem Weg zur Erreichung unternehmerischer Ziele, nämlich durch konkrete Planung der geschäftlichen Aktivitäten und fortlaufendes Austarieren der Geschäftsentwicklung.
Meine Top 3 Lieblings-Geschäftsideen der Pitching-Runden
Ein Gründerteam entwickelte Software, die die Nutzung von erneuerbaren Energien erleichtert. Das Unternehmen arbeitet mit Energielieferanten und Netzbetreibern zusammen und bietet Gemeinden, Unternehmen und sogar Privathaushalten die Möglichkeit, den Anteil von grünen Energien im eigenen Strommix individuell zu gestalten und zu erhöhen. Die Anwendung erlaubt die Abrechnung von komplexen Energieflüssen aus verschiedenen Quellen. Die Firma ist bereits in vier Ländern aktiv und sucht derzeit nach Investoren, um ihre Wachstumsphase zu finanzieren.
Ein Startup hat ein einmaliges System für das Recycling von Verpackungen speziell für den Bereich Kosmetik und Körperpflege entwickelt. Durch Kooperationen mit großen Herstellern werden spezifische Daten zu Kunststoffverpackungen der jeweiligen Marken in einer Datenbank des neu gegründeten Unternehmens gesammelt. Die Konsument:innen können leere Plastikverpackungen in die Einzelhandelsgeschäfte zurückbringen und an dort installierte Annahmegeräte abgeben. Mithilfe einer speziell entwickelten Punkte-Sammelsystem-App erhalten die Konsument:innen im Gegenzug Gutscheine oder gar Geldgutschriften über ihr Smartphone. Die gesammelten Kunststoffe werden zum bereinigten Plastikgranulat recycelt und an die früheren Hersteller (zurück)verkauft. Die Vorteile für die Markenhersteller liegen dabei nicht nur in der hohen und nachverfolgbaren Qualität, sondern auch im garantierten Einkaufspreis für Rezyklate und somit in einer besseren Planungssicherheit.
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Insgesamt gesehen ein wichtiger Umsetzungsschritt zur Kreislaufwirtschaft.
Eine faszinierende Idee, die sowohl Hardware als auch FinTech-Software – also Lösungen für die Abwicklung von Finanzdienstleistungen – verbindet. Das junge Unternehmen befindet sich in der Skale-up-Phase und plant, während dieser Wachstumsstufe seine Annahmegeräte im Einzelhandel in 20 europäischen Ländern zu installieren. Ich hoffe sehr, dass diese Neugründung mit entsprechendem Verhandlungsgeschick und Überzeugungskraft möglichst alle Markenhersteller weltweit mit ins Boot holt, dann wäre die positive Wirkung auf unsere Umwelt enorm.
Drei Frauen aus drei verschiedenen Ländern entwickelten zusammen eine Software zur Analyse von Online-Besprechungen und gründeten daraufhin ein gemeinsames Startup. Das Computerprogramm erstellt Berichte am Ende einer Videobesprechung, z. B. über die Länge der jeweiligen Sprechzeit, abgebrochene Beiträge, Wortwahl usw., und zwar aufgeteilt nach Geschlecht oder ethnischen Gruppen. Damit soll die ausgewogene Beteiligung der Teilnehmenden im Hinblick auf Vielfalt und Inklusion in der digitalen Geschäftswelt und letztlich ggf. auch eine Verhaltensänderung erreicht werden.
Meine Top 3 Lieblings-Geschäftsideen vom Ausstellungsbereich
Ein dreijähriges Jungunternehmen bietet nachhaltige Business-Mode für Frauen. Die Produkte werden aus langlebigen und nachhaltig hergestellten Stoffen genäht. Besonderer Wert wird auf zeitloses Design, Eleganz und Bequemlichkeit gelegt. Die Firma bietet den Kundinnen die Möglichkeit eines individuellen Co-Designs. Eine weitere attraktive Dienstleistung besteht darin, Kleidungsstücke bei Gewichts- bzw. Figurveränderung anzupassen, damit diese von den Kundinnen weiter getragen werden können. Schon beim Design und der Herstellung der Kleidung wird sichergestellt, dass das Umnähen und die Wiedernutzung gut funktionieren. Außerdem sind die pflegeleichten Stoffe so konzipiert, dass sie normal in der Waschmaschine gereinigt werden können.
Ein aus einem Projekt der Universität St. Gallen gerade entstehendes Startup hat eine ökologische Alternative zu Styropor entwickelt, die herkömmliche Styroporverpackungen ersetzen soll. Ausgangsstoffe für das neue Material sind Pilze und Zusatzstoffe wie Stroh oder Papp- bzw. Holzschalen, insgesamt also Abfälle, die bei Pilzproduzenten anfallen. Aus diesem Basismaterial werden verschiedene Verpackungen geformt, die nach der Nutzung im Kompost in nur 6 Monaten vollständig biologisch abgebaut werden. Sehr vorteilhaft ist zudem der gleiche Preis wie bei der herkömmlichen Styroporverpackung. Nur wenn es um sehr komplexe Verpackungsformen geht, steigt der Preis für diese umweltfreundliche Alternative im Vergleich zu Normalstyropor.
Das dreiköpfige Gründungsteam befindet sich momentan in der Seed-Phase, also in der allerersten Orientierungs- und Planungsphase, bei der es um die Ideenfindung bezüglich neuer Dienstleistungen, Technologien oder Produkte und die Ausarbeitung eines Geschäftsmodells geht. In dieser Phase wird auch ein Businessplan erstellt und die Geschäftsidee auf die Umsetzbarkeit und das wirtschaftliche Potenzial überprüft.
Ein etabliertes Jungunternehmen aus der Schweiz entwickelte ein sehr effektives Konzept, um Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Eine Smart-Waage mit einer Mülltonne wird in Restaurants oder Betriebskantinen aufgestellt. Ausgerüstet mit einer Videokamera nimmt diese Waage auf, was genau in der Mülltonne landet. Eine KI-basierte Software analysiert das Bildmaterial, ordnet die Gewichtsangaben sowie die Beschaffungspreise einzelnen Lebensmitteln zu, berechnet auf diese Weise die verschwendete Menge sowie den verschwendeten Geldbetrag und liefert dazu anschauliche Berichte. Das Unternehmen befindet sich in der Scale-up-Phase, seine Produkte sind bereits in mehreren Ländern und auch bei einer großen Hotelkette platziert. In diesem Wachstumsschritt geht es nun um die breite internationale Expansion.
Nachhaltige Investitionen
Ab Januar 2022 gelten in der Europäischen Union die neuen Regelwerke EU Taxonomie und Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR), die die Neuausrichtung der Kapitalströme mit Fokus auf nachhaltige langfristige Investitionen sowie die Verankerung von Nachhaltigkeit als Bestandteil des Risikomanagements zum Ziel haben. Beide neue Gesetze sind ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Schaffung eines Rahmens für die Klassifizierung von Geschäftstätigkeit bzw. von Investitionen als „grün“ oder „nachhaltig“. Dadurch sollen insbesondere Unternehmen finanziell bevorzugt und gefördert werden, die in den folgenden 6 Bereichen tätig sind:
- Klimaschutz
- Anpassung an den Klimawandel
- Nachhaltiger Einsatz und Gebrauch von Wasser oder Meeresressourcen
- Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft
- Vorbeugung und Kontrolle von Umweltverschmutzung
- Schutz und Wiederherstellung von Biodiversität und Ökosystemen
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Vor diesem Hintergrund finde ich es nun sehr erfreulich, dass das Thema „Nachhaltigkeit“ auch auf Investorenseite verstärkt in den Blick genommen wird. So berichtete ein Venture Capital Investment Fond aus Norwegen über das eigene Bewertungskonzept, um nachhaltige Unternehmen mit einem hohen Wirkungspotential aus der Menge der sogenannten „Green Washing“-Firmen herauszufiltern. Dazu analysiert es Daten von Unternehmen und nutzt Künstliche Intelligenz, um fehlende Werte zu schätzen und die Weiterentwicklung vorherzusagen. Die Software kalkuliert eine spezielle Kennzahl für die Nachhaltigkeit, in dem es die Bewertung auf drei Ebenen durchführt:
- Anlagen und Fuhrpark
- Beschaffung von Energie, Wärme und Wasser
- Lieferketten, Investitionen und Abfallmanagement
Bis vor kurzem fokussierten sich die Investoren ausschließlich auf die finanzielle Rentabilität, heute geht es verstärkt um die ökologische Rentabilität: wieviel Euro Umwelteinfluss verursacht ein Unternehmen mit jedem Euro erwirtschaftetem Umsatzerlös. Dabei werden sowohl positive, als auch negative Umweltfolgen in Geldbeträgen ausgedrückt. Denn es reicht künftig nicht mehr aus, als Firma keine negativen Umweltfolgen durch eigene Geschäftstätigkeit zu verursachen. Investiert wird immer mehr in Unternehmen, die nachweislich eine wesentliche positive Wirkung auf die Umweltsituation erzielen.
Der norwegische Investor machte auf den langen Weg aufmerksam, der durchschritten werden musste, bis das Nachhaltigkeitsreporting in der Praxis wirklich funktioniert: zwar erstellen viele Unternehmen spezielle Berichte über die eigene Nachhaltigkeit, doch es erfolgt keine unabhängige externe Überprüfung, ob die im jeweiligen Bericht angekündigten Maßnahmen tatsächlich durchgeführt wurden.
Die Überprüfungen dieses Investors haben ergeben, dass ein Drittel der als „nachhaltig“ deklarierten Investitionen nur 1 Prozent des positiven Umwelteinflusses erreicht. Somit handelt es sich um Fälle von „Green Washing“, bei denen sich hinter schönen Aufklebern die bisherige umweltschädigende Praxis versteckt.
Außerdem verfügen Unternehmen über einige Gestaltungsspielräume, was die Berechnung ihrer ökologischen Zahlen betrifft. Daher erweist sich ein ernstzunehmender Vergleich unterschiedlicher Unternehmen in Bezug auf deren Nachhaltigkeit als äußerst schwierig. Hier bedarf es dringend einer stärkeren Standardisierung auf internationaler Ebene, welche speziellen Kennzahlen berichtet und wie genau diese kalkuliert werden sollen.
https://www.entrepreneur.com/article/404306
https://sifted.eu/articles/europe-startup-rounds-2021/
https://www.swissinfo.ch/eng/swiss-startups-mark-bumper-investment-year-in-2021/47300878